Das Spiel ihres Lebens
Wenn heute die Schweiz im Viertelfinale der Eishockey-Weltmeisterschaft auf Österreich trifft, schreibt der Nachbar Geschichte. Erstmals seit 31 Jahren stehen die Österreicher unter den besten acht Mannschaften der Welt. Für die meisten Akteuren im Team des gebürtigen Schweizers Roger Bader ist es das Spiel ihres Lebens.
Am Dienstag schrieb Österreich Geschichte: Erstmals seit 31 Jahren steht unser Nachbarland im Viertelfinale. Nun geht der Traum weiter gegen die Schweiz. Nicht nur aufgrund der Nachbarschaft ist es ein brisantes Duell, denn mit der Schweiz ist das österreichische Eishockey stark verbunden.
Mehrere österreichische Nationalspieler verdienen ihr tägliches Brot in der Schweiz, kamen teils schon im Nachwuchsalter als Grenzgänger ins Nachbarland. Ambrì-Stürmer Dominic Zwerger, ZSC-Stürmer Vinzenz Rohrer, SCB-Stürmer Benjamin Baumgartner, Kloten-Verteidiger Bernd Wolf und Oliver Achermann vom HC La Chaux-de-Fonds stehen im ÖEHV-Kader. Sie kennen ihrer nächsten Gegner aus dem Ligaalltag.
Auffallend ist vor allem Zwerger, der in Ambrì diese Saison einen Abstieg in die vierte Linie erlebte und seit dem Jahreswechsel bloss ein Tor erzielte. An der WM waren es drei Tore in sieben Spiele.
«Er ist ein zartes Pflänzchen. Er ist ein Künstlerspieler und muss sich wohlfühlen. Er muss aber auch wissen, dass er auch defensiv arbeiten muss für die Mannschaft. Das macht er. Er blockiert viele Schüsse. Er bereitete uns letztes Jahr schon sehr grosse Freude und jetzt auch wieder», sagt sein Trainer Roger Bader.
Zwerger sagt, was für viele seiner Teamkollegen gilt. «Es ist das grösste Spiel meiner Karriere! Wir haben Respekt, aber Angst haben wir nicht.»
Was es gegen die Schweiz brauche? Wenig Strafen nehmen wegen des guten Powerplays des Gegners, gut verteidigen.
Von der Liftmannschaft zum Viertelfinalisten
Der 28-jährige Vorarlberger spielt seit 2018 bei Weltmeisterschaften. Damals zählte Österreich zu den «Liftmannschaften», die immer wieder auf- und abstiegen.
«Wir spielten immer um den Klassenerhalt. Danach wollten wir drei Spiele gewinnen und nun gewannen wir ein weiteres gegen Lettland. Wir hatten gute Spiele gegen Top-Nationen, boten den Besten der Welt Paroli. Wir stehen verdient, wo wir sind», so Zwerger.
Die Österreicher gewannen gegen jene Gegner, die sie besiegen mussten, um den vierten Platz zu erreichen: die Slowakei (3:2 n.P.), Frankreich (5:2), Slowenien (3:2 n.P.) und Lettland (6:1). Doch zuerst starteten sie mit ehrenvollen Niederlagen gegen die Top-Nationen ins Turnier: 1:2 gegen Finnland, 2:4 gegen Schweden. Nur gegen Kanada verloren sie höher, 1:5.
«Wir haben sieben wirklich gute Spiele gespielt. Wir waren bis zweieinhalb Minuten vor Schluss gegen Schweden vor 12'000 Zuschauern 2:1 in Führung. Es war hart, dass wir dann dieses Spiel noch verloren», sagt der Nationaltrainer Roger Bader und weiss, dass er gegen die Schweiz wieder auf ein Top-Team treffen wird. «Wir wissen natürlich, dass auf der anderen Seite eine riesige Qualität an Spielerpotenzial, eine Top-Mannschaft ist, die um Goldmedaillen spielt. Und dass bei uns alles zusammenlaufen muss. Alle Qualitäten, die wir gegen Lettland aufs Eis gebracht haben, müssen wir wieder aufs Eis bringen. Dann haben wir vielleicht eine kleine Chance.»
Als Suhonen an die alte Donau rief
Der 60-jährige Winterthurer tauchte in den 80er-Jahren als Assistenztrainer von Arno Del Curto beim ZSC im Schweizer Profihockey auf. Uzwil, Kloten, Fribourg und Rapperswil-Jona waren weitere Stationen. Bei den NLA-Clubs war er Assistenztrainer oder im Nachwuchs. Beim Schweizer Verband war er als U18-Nationaltrainer tätig. Doch den grossen Durchbruch hatte er in Österreich, wo er seit elf Jahren tätig ist, aber offiziell weiterhin in der Schweiz wohnhaft ist.
2013 gab es erste Kontakte mit dem damaligen ÖEHV-Sportdirektor Alpo Suhonen, dem früheren finnischen NHL-Trainer mit Schweizer Vergangenheit. Er telefonierte Bader, lud ihn nach Wien ein zum Gespräch, an der alten Donau in einem Fischrestaurant. Doch für das Angebot als Ausbildungschef sagte Bader innert zwölf Monaten dreimal ab. Beim vierten Mal biss er doch noch an als er zusätzlich auch zum U20-Nationaltrainer wurde. Dann war vorgesehen, dass er Suhonen als Sportdirektor ersetzen würde, wenn er in Rente ging. Er amtete dabei auch als Assistenztrainer des Herren-Nationalteams und kam so ein paar Monate später in seine aktuelle Rolle.
Neunte Saison als Nationaltrainer
In der Länderspielpause im November 2016 fehlte dem Sportdirektor ein Trainer, weil Dan Ratushny nach Lausanne wechselte. «Ich sagte, okay, ich mache das für das Turnier, damit wir jemanden haben.»
Seine erste Handlung: Er informierte die besten zehn Spieler, dass er für diesen Zusammenzug auf sie verzichten würde und schauen möchte, was es für junge Spieler gäbe. «Das war natürlich ein Risiko. Ich hätte ja dreimal verlieren können. Aber wir gewannen zweimal, spielten gutes Hockey und ich habe eigentlich alles geändert. Den Spielstil, wie man coacht, wie man im Betreuerstab miteinander umgeht, wie man mit der Mannschaft umgeht, das ganze Tagesprogramm. Und dann haben sie offenbar gefunden, dass ich das gut mache.»
Bader blieb daher bis Ende Saison. Österreich gewann die Division I in Kiew und stieg auf. Und acht Jahre später ist Bader immer noch Nationaltrainer und steht mit dem Team im Viertelfinale.
«Ich bin glücklich. Es gefällt mir dort und ich glaube, dass ich auch der Schweiz aufzeigte, dass Roger Bader durchaus etwas kann. Aber ich habe natürlich auch sehr gute Mitarbeiter, einen exzellenten Trainerstab, der mich super unterstützt. Dank ihnen kann ich ein guter Nationaltrainer sein. Die Gruppe, die wir hier haben und zusammengewachsen ist, ist ein irrsinnig gutes Team», sagt Bader.
Sein Mentor aus den 80er- und 90er-Jahren, Arno Del Curto, half in den letzten Jahren teilweise auch als Assistenztrainer aus, musste dieses Jahr aber passen. Es gab während der WM auch keinen Kontakt bis nach dem Lettland-Spiel, als Del Curto ihn anrief.
Schweizer Stempel für Österreichs Team
Bader drückte dem österreichischen Nationalteam seinen Stempel auf. Einer, bei dem viel Schweiz und viel Schweizer Nationalteamprogramm drinsteht. Und eine Mentalität, die jenem des Schweizer Teams nicht unähnlich ist.
«Ich erkenne schon meine Hockey-Philosophie in meiner Mannschaft. Die Mannschaft spielt so, wie ich mir Hockey vorstelle», sagt Bader.
«Wir wollen agieren und nicht reagieren. Ich bin der Meinung, dass wir nicht nur auf Fehler von Gegnern warten wollen. Natürlich haben wir Momente, wo wir auch in der Defensive warten, in der Mittelzone, das ist klar, aber wir versuchen auch Druck zu machen. Ich glaube, wir haben in den letzten Jahren eine gute Balance gefunden.»
Während seiner Zeit im Schweizer Verband wurde er auch von der Entwicklung beeinflusst, die Ralph Krueger brachte. Er erlebte als U18-Nationaltrainer, wie Krueger alles professionalisierte mit Camps, die zuerst belächelt wurden, mit Krafttraining, das damals noch nicht eingeführt war. «Ich konnte dort sicher viel von ihm lernen und profitieren. Ich glaube auch, dass man heute, wenn man zurückblickt auf seine Zeit, sagen kann, dass er das Fundament gelegt hat für das, was nachher Sean Simpson und Fischi, die selber einen super Job machten, profitieren konnten. Nun gehe ich einen ähnlichen Weg.»
Das Spiel gegen die Schweiz möchte er nicht überbewerten. Er habe schon viele wichtige Spiele gehabt in 30 Jahren als Trainer. «Aber natürlich ist ein Viertelfinalspiel mit Österreich historisch und dann noch gegen das Heimatland, das ist natürlich sehr weit oben», so Bader.
Klagenfurt, Salzburg und Schweiz als Rückgrat des Teams
Das Rückgrat seines Teams bilden Spieler der beiden Top-Clubs aus Salzburg und Klagenfurt. Bader unterstreicht, dass sie starke Teams seien, die auch in der Champions Hockey League gezeigt hätten, was sie können bis hin zu Salzburgs Sieg gegen die ZSC Lions.
«Natürlich ist die Schweizer Liga deutlich besser in jeder Beziehung mit schnelleren, technisch besseren Spielern», fügt Bader dennoch an und kann schliesslich selbst auf Spieler setzen, die aktuell oder in der Vergangenheit in der Schweiz spielten. Dabei profitieren die Österreicher auch vom Status der «Lizenz-Schweizer».
«Sie sind ja schon länger dabei. Österreicher, Franzosen und Italiener profitieren von der Grenzgängerregelung, die der HC Chiasso damals beantragte», sagt Bader. «Natürlich profitieren wir davon und auch von Spieler, die früh gedraftet worden sind. Wir haben in den letzten Jahren drei Top-10-Drafts, die entweder in der Schweiz waren oder in Schweden.»
Das kann auch Baumgartner so bestätigen. Der SCB-Stürmer erhielt gegen Kanada bei einem Anspiel ein Stock am Auge, musste ein Tag lang im Hotel bleiben, bis er wieder sehen konnte. Nun kann er mit Vollvisier wieder spielen gegen seine Wahlheimat.
«Wir profitieren davon, dass wir in der Schweizer spielen und gute Rollen in den Clubs erhalten», sagt Baumgartner, der als Center in Bern viel Eiszeit erhält.
Fischer beobachtet die Entwicklung
Auch der Schweizer Nationaltrainer Patrick Fischer steht mit Bader regelmässig im Austausch und ist erfreut über die Entwicklung in Österreich. Er wurde vom ÖEHV auch zu einem Symposium eingeladen.
«Ich beobachte, was sie machen und freue mich für sie. Unter den unteren Mannschaften gehören sie zu jenen, die am mutigsten spielen und etwas kreieren. Vom Mindset her gibt es Parallelen zu uns», sagt Fischer.
«Wenn man stehen bleibt und nur das Spiel zerstören will, kommt man nicht weiter», fügt er an und verweist auf Norwegen, das fast abgestiegen ist.
Für die Schweiz gilt: Nach dem souveränen Gruppensieg ist die Favoritenrolle klar verteilt. Doch ein KO-Spiel kennt seine eigenen Gesetze.
«Österreich hat viel Selbstvertrauen und Euphorie, das haben wir aber alles auch», sagt Fischer. «Wir müssen von Anfang an bereit sein und durchspielen. Wir wissen dass sie gut sind und auch dass es ein Spiel ist. Wir müssen klug spielen und das Spiel so angehen wie die Spiele von 1 bis 7.»
Österreich – und dann Schweden, USA oder Tschechien?
Los geht das Nachbarschaftsduell um den Halbfinaleinzug um 16:20 in Herning.
Unter den acht verbleibenden Teams ist die Schweiz auf Platz 2 der Setzliste hinter dem anderen Gruppensieger Kanada.
Bei einem Weiterkommen bekämen es die Schweizer im Halbfinale damit mit dem nächstbesten verbleibenden Halbfinalisten zu tun, wahrscheinlich einer aus dem Trio Schweden, USA und Tschechien. Das Halbfinale und die Medaillenspiele finden am Wochenende in Stockholm statt.